Informationen eines Nautilus Mitglied über die Arbeitszeitregelungen auf Binnenschiffen.
Kolleginnen und Kollegen,
Als frisch gebackener freier und unabhängiger Schiffsführer möchte ich die Plattform der Gewerkschaft nutzen und mich zur Situation in der Europäischen Binnenschifffahrt äußern. Diese Meinung ist natürlich vollkommen subjektiv und verlangt nicht danach, akzeptiert zu werden. Erst einmal möchte ich mich ganz kurz vorstellen, damit Ihr wisst, wer sich hier äußert.
Mein Name ist Harald Ludwig, ich bin knapp 56 Jahre alt, lebe wohne und liebe in der Stadt Brandenburg an der Havel in Deutschland. In den letzten 10 Jahren war ich in der Kabinenschifffahrt als Schiffsführer mit Vollrheinpatent vorrangig auf der Strecke Basel – Amsterdam tätig.
Momentan fahre ich hauptsächlich für das Unternehmen River Advice auf der Rhein Melodie. Seit 2015 bin ich Mitglied bei Nautilus.
In den letzten 10 Jahren hat die Wirtschaft in Europa eine rasante Entwicklung genommen. An der Europäischen Binnenschifffahrt ist dies nicht vorbeigegangen. In allen Bereichen profitiert die Schifffahrt vom erhöhten Transportaufkommen der Wirtschaft, muss aber gleichzeitig mit einem hohen Konkurrenzdruck fertig werden. Es gibt meiner Meinung nach, einige Fehlentwicklungen, die zur momentanen Situation beitragen.
Finanzinvestoren haben die Branche für sich entdeckt und unterstützt mit staatlichen Förderungen von einigen Ländern, gab es einen Bauboom in allen Bereichen der Schifffahrt. Das hat, einerseits, zu einer Erhöhung des Frachtraums geführt aber gleichzeitig die Frachtraten negativ beeinflusst. Gleichzeitig ist der Bedarf an qualifizierten Fachkräften, gerade in Mitteleuropa, im verkehrsreichen Rhein – Main - Donau Gebiet stark gewachsen, konnte aber nicht befriedigt werden.
Selbst durch die Liberalisierung sowie die gegenseitige Anerkennung der Patente und Befähigungen kann der Personalbedarf kurzfristig nicht gedeckt werden. Nun sollte man annehmen, dass dies zu einem Anstieg der gezahlten Löhne in der Binnenschifffahrt geführt hat. Das wiederum ist, wenn überhaupt, nur bedingt eingetreten.
Die meisten größeren Unternehmen decken Ihren Personalbedarf nur ab, indem unterqualifiziertes, schlecht ausgebildetes und unerfahrenes Personal in Schlüsselpositionen beschäftigt wird und es billigend in Kauf genommen wird, dass die Qualität und die Sicherheit auf ein derart niedriges Niveau sinken, dass es immer häufiger zu Havarien kommt.
Ein anderer Effekt ist, dass es häufig Schiffe gibt, die zwar regelkonform besetzt sind, es aber nur einen Kollegen an Bord gibt, der fachlich in der Lage ist, die geforderten Tätigkeiten auszuführen und das Schiff zu manövrieren. Das führt häufig zu Überschreitungen der zumutbaren Arbeitszeiten, obwohl nach Fahrtzeitenverordnung alles in Ordnung ist.
Auch Arbeitsbereitschaft ist Arbeitszeit. Auch laut der Fahrtzeitenverordnung darf man sich während der Ruhezeit nicht in Arbeitsbereitschaft befinden.
Rechtslage auf Schweizer Schiffen
Offiziell hat die Schweiz noch keine nationale Regelung erlassen, die explizit die Vorgaben der EU-Richtlinie umsetzt, wie dies Nautilus seit Jahren fordert. Die Schweizer Behörden haben den Umsetzungsprozess bislang mit der Begründung verschleppt, man wolle die Entwicklung der nationalen Umsetzung innerhalb der EU abwarten und ohnehin seien durch die zwingende Einhaltung des deutschen Mindestlohngesetz, das ja zwingend eine Arbeitszeitdokumentation vorsieht, die Vorgaben auch für Schweizer Schiffe gültig. Dies ist auch der Tenor der Schweizer Reeder, die erklärt haben, das neue deutsche Gesetz vom 2017 anzuwenden.
Zumindest formal wird dem in der Tat Rechnung getragen, die meisten Schweizer Reedereien führen auf ihren Schiffen seit 2017 entsprechende Dokumentationen, wie sie in dem deutschen Arbeitszeitgesetz vorgesehen sind. Die Rechtsauffassung von ExpertInnen geht ohnehin dahin, dass auf deutschen Gewässern die dortigen Regelungen eingehalten werden müssen, so wie dies mit dem deutschen Mindestlohn der Fall ist. Nautilus arbeitet jedoch weiterhin darauf hin, dass die Schweiz auch eine entsprechende formale Weisung an alle Schweizer Reeder erlässt.
Im Jahr 2014 wurde innerhalb der EU ein neues Arbeitszeitgesetz beschlossen, dass bis zum 1. Januar 2017 in nationales Recht in den Mitgliedstaaten umzusetzen war. Im letzten Jahr wurde dem, in den Niederlanden und Deutschland, gefolgt. Bereits im letzten Jahr veröffentlichte dazu das Rotterdamer Büro von Nautilus eine Publikation über das holländische Gesetz, leider nur eine. In Deutschland ist ebenfalls ein neues Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten. Die bisher im Paragraphen 21 des Gesetzes verankerten Bestimmungen, für die Binnenschifffahrt, wurden in einer neuen Verordnung verabschiedet. Diese nennt sich Binnenschifffahrt – Arbeitszeitverordnung und ist zum 01.August 2017 in Kraft getreten und seit dem Gesetzkräftig. Hier wird der Arbeitszeitrahmen in dem sich Besatzungsmitglieder auf Binnenschiffen, die sich in Deutschland befinden, definiert.
Leider kenne ich keinen Arbeitgeber, der seiner Informationspflicht aus dieser Verordnung bisher auch nur ansatzweise gerecht wird. Es beginnt damit, dass diese Verordnung auf jedem Schiff sichtbar und für die Besatzung zugänglich auszuhängen ist. Der Gesetzgeber hat quasi zur Selbstkontrolle und im Glauben an das Gute im Menschen, eine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten sowohl für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmer festgelegt. Zusätzlich müssen alle Aufzeichnungen vom jeweiligen Schiffsführer und dem betreffenden Arbeitnehmer gegengezeichnet werden. Genau hier ist der Punkt, wo, so behaupte ich, mehr als 90 % aller Angestellten im Moment Ordnungswidrigkeiten begehen, weil Sie das einfach nicht wissen. Die Arbeitgeber, dass ist übrigens eine riesen Schweinerei, unternehmen nichts, um ihre Mitarbeiter vor einer Bestrafung bei einer Kontrolle zu schützen.
Damit Euch so etwas nicht passiert, möchte ich Euch im Anschluss kurz über einige wesentliche Punkte der Binnenschifffahrt – Arbeitszeitverordnung aufklären. Eine vollständige Übersicht über die Verordnung können wir Euch per Mail als Power Point Präsentation zur Verfügung stellen. Diese könnt Ihr, bei Interesse, entweder über unser Büro in Basel, infoch@nautilusint.org oder meine geschäftliche Mailadresse info@kapitaen-gesucht.de kostenlos zusenden lassen.
Eine Ordnungswidrigkeit begeht, wer einen Arbeitnehmer länger als 31 aufeinanderfolgende Arbeitstage beschäftigt, Ruhetage nicht oder nicht rechtzeitig gewährt. Die Arbeitszeitaufzeichnungen, nicht, nicht richtig oder nicht vollständig führt und die Aufbewahrungszeit für die Aufzeichnungen nicht einhält. Die Aufbewahrungszeit für Arbeitnehmer beträgt 12 Monate. Bei einer Kontrolle muss also jedes Besatzungsmitglied in der Lage sein, dem Kontrolleur seine eigenen vom jeweiligen Schiffsführer unterschriebenen Arbeitszeitaufzeichnungen der vergangenen 12 Monate vorzulegen.
Hier einige Begriffserläuterungen:
- Arbeitszeit, ist die Zeit, während der man, auf, am oder für das Fahrzeug Arbeit ausübt, zur Arbeit eingeteilt oder sich bereithalten muss.
- Ruhezeit, ist die Zeit, außerhalb der Arbeitszeit, unabhängig ob sie auf dem fahrenden oder stillliegenden Fahrzeug oder an Land verbracht wird. Zeiten unter 15 Minuten sind keine Ruhezeiten.
- Ruhetag, ist eine ununterbrochene Ruhezeit von 24 Stunden, die an einem frei gewählten Ort verbracht werden kann.
- Dienstplan, diesen muss es zwingend für jeden Mitarbeiter an Bord geben, er ist die in Voraus bekannte Planung von Arbeits- und Ruhetagen.
- Nachtzeit, ist die Zeit zwischen 23.00 und 06.00 Uhr.
- Bordpersonal, ist die Gesamtheit aller Beschäftigten an Bord eines Fahrgastschiffes, die nicht zur Besatzung (nautisches Personal) gehören. An dieser Stelle möchte ich hier zur Kenntnis geben, dass die Fahrzeitenverordnung sowohl für die nautische Besatzung als auch das Bordpersonal eines Binnenschiffes gültig ist.
- Saison, ist ein Zeitraum von maximal 9 aufeinander folgenden Monaten.
Die höchst zulässige Arbeitszeit am Tag beträgt 14 Stunden. Die höchst zulässige Arbeitszeit in der Woche beträgt 84 Stunden (Durchschnittlich am Tag 12 Stunden). Innerhalb eines Jahres, darf die durchschnittliche Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Die Nachtarbeitszeit darf in jedem Zeitraum von 7 Tagen, 42 Stunden nicht überschreiten. Das Kalenderjahr hat 52 Wochen, da der Gesetzgeber aber davon ausgeht das jeder Arbeitnehmer 4 Wochen Urlaub hat, werden zur Arbeitszeitberechnung nur 48 Wochen herangezogen.
Daraus ergibt sich eine jährliche zur Verfügung stehende Gesamtarbeitszeit von 2.304 Stunden. Davon können maximal 2.016 Stunden in der Nacht geleistet werden. Die Mindestruhezeit am Tag beträgt 10 Stunden, wobei mindestens 6 Stunden ununterbrochen zu gewähren sind. Die wöchentliche Mindestruhezeit beträgt wiederum 84 Stunden (also im Schnitt wieder 12 Stunden). Ab 6 Stunden Arbeitszeit müssen mindestens 30 Minuten Ruhepause eingehalten werden. Ab 9 Stunden Arbeitszeit mindestens 45 Minuten und bei mehr als 11 Stunden mindestens 60 Minuten Ruhepause eingehalten werden. Es darf maximal 6 Stunden nacheinander ohne Ruhepause gearbeitet werden.
Auch Arbeitsbereitschaft ist Arbeitszeit. Auch laut der Fahrtzeitenverordnung darf man sich während der Ruhezeit nicht in Arbeitsbereitschaft befinden.
Für die Gewährung von Ruhetagen sieht die Verordnung folgende Regelung vor: Wenn es im Dienstplan mehr Arbeitstage als Ruhetage gibt, gilt: Für den ersten bis zehnten Arbeitstag muss der Mitarbeiter pro Tag 0,2 Ruhetage, also nach zehn Tagen 2 Ruhetage einlegen. Für den elften bis zum zwanzigsten Arbeitstag muss der Mitarbeiter pro Tag 0,3 Ruhetage, also nach zwanzig Arbeitstagen, mindestens 5 Ruhetage einlegen. Für den einundzwanzigsten bis zum einunddreißigsten Arbeitstag muss der Mitarbeiter 0,4 Ruhetage, also spätestens nach 31 Arbeitstagen, mindestens 9,4 Ruhetage einlegen.
Enthält der Dienstplan die gleiche Anzahl von Arbeits- und Ruhetagen, muss dem Arbeitnehmer unmittelbar im Anschluss an die Arbeitstage die gleiche Anzahl an Ruhetagen gewährt werden. Davon kann der Arbeitgeber allerdings abweichen. Wenn, die nach dem oben genannten 0,2 bis 0,4 Schlüssel Ruhetage mindestens bereits gewährt wurden und die noch offenen Ruhetage im Abrechnungszeitraum noch gewährt werden. Der Schiffsführer hat das Recht, im Notfall, Arbeitsstunden anzuordnen. Allerdings müssen nicht gewährte Ruhestunden, sobald als möglich, in Höhe der Ruhezeitunterbrechung, als Ersatzruhezeit, gewährt werden.
Ausführlichere Erläuterungen und einige Beispiele erhaltet Ihr in der vorher bereits erwähnten Präsentation. Es geht mir hier nicht darum, sinnlos irgendwelche Vorschriften durchzusetzen. Allerdings tragen diese Vorschriften mit dazu bei, die Schifffahrt sicherer zu machen. Vielleicht wird unser Beruf auch, für ein paar Menschen mehr, wieder etwas attraktiver.
Auf jeden Fall sollte man sich darüber bewusst sein, dass im Falle einer Havarie, nicht mehr nur das Fahrzeitenbuch eine Rolle spielt, sondern der Staatsanwalt mit Sicherheit auch einen Blick auf die Arbeits- und Ruhezeiten haben wird. Solltet Ihr Fragen oder Anregungen haben, stehe ich Euch gern unter meiner Mailadresse zur Verfügung und werde mir Mühe geben Zeitnah zu antworten.
Eine unfallfreie und angenehme Reise und immer eine Handbreit Wasser unterm Schiff wünscht Harald Ludwig.
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